Etwas Besseres als ein deutscher Staat

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Wenn die Äußerungen und Handlungen von einigen radikalen Linken betrachtet werden, die sich mit Deutschland auseinandersetzen, kann der Eindruck erweckt werden, dass die DDR ein großartiger, sozialistischer Staat war und die BRD ein imperialistischer Schurkenstaat ist. So laufen zum Beispiel Menschen in FDJ-Uniformen auf linken Demonstrationen in Ostdeutschland mit oder sie veranstalten selber Demonstrationen, wie die in Zwickau im Juni 2020. Oder, wenn die Äußerungen von Linken, die etwas bürgerlicher sind, betrachtet werden, könnte ein entgegengesetztes Bild entstehen, also dass die DDR ein Unrechtsstaat war und keine progressiven Punkte innehatte während die BRD ein fortschrittlicher, freiheitlicher Staat ist.

Dieser Eindruck trügt. Weder die BRD noch die DDR sind bzw. waren Staaten mit denen die radikale Linke Frieden schließen kann.

Viele Kritikpunkte, die in Bezug auf die (prä- und post-Wende) BRD geäußert werden können, treffen ebenso – natürlich in anderem Maße – auch bei der DDR zu. Beispielsweise erklärte die BRD durch die sogenannte Entnazifizierung einen guten Teil ihrer Verwaltungsbeamten einfach für unschuldig. Scheinbar wurde das nicht nur getan ohne überhaupt daran zu denken, was sie während des Nationalsozialismus gemacht haben, vielmehr wurde dies wissentlich ignoriert.. Eins der prominentesten Beispiele für die fehlende Auseinandersetzung der BRD mit dem deutschen Faschismus ist die politische Karriere Hans Globkes, der unter Konrad Adenauer von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts war. Nur wenige Jahre zuvor war er einer der Verfasser und ein Kommentator der „Nürnberger Rassengesetze“. Zusätzlich war er der Ministerialbeamte, der die judenfeindliche Namensänderungsgesetze zu verantworten hatte. Bei seiner Anhörung im Zuge der Entnazifizierung gab Globke jedoch an zum Widerstand gehört zu haben. Da er niemals Mitglied in der NSDAP gewesen war, was ihm durch seine ehemalige Mitgliedschaft in der Deutschen Zentrumspartei verwehrt worden war, wurde er in die Kategorie „unbelastet“ eingeordnet. Als einer der führenden Köpfe der nationalsozialistischen Verwaltung konnte er ohne Weiteres einen hohen Posten in der BRD einnehmen[1]. Während in Westdeutschland also offiziell eine Politik der „Entnazifizierung“ gefahren wurde, eigentlich aber wissentlich personelle Kontinuitäten von vor 1945 fortgesetzt wurden, setzte die DDR auf formale Abgrenzung. Offiziell erklärte sich die Deutsche Demokratische Republik zum „antifaschistischen Staat“, berief sich auf einen Gründungsmythos bestehend aus dem kommunistischem Widerstand gegen das NS-Regime und internierte einige ehemalige Nationalsozialisten. Die BRD erklärte sie unterdes zum Nachfolge-Staat des nationalsozialistischen Deutschlands[2]. Die DDR konnte damit einfach die Auseinandersetzung mit der Schuld am Holocaust auf andere abwälzen und ebenso Alt-Nazis in in der Verwaltung einsetzen. Dazu gehörte neben fehlenden Entschädigungszahlungen für bestimmte Opfergruppen auch die staatliche Diktion einer rein auf den kommunistischen Widerstand bezogenen Gedenk- und Erinnerungskultur. Währenddessen fand ab den 60er Jahren in der BRD eine Auseinandersetzung aus der Bevölkerung heraus entstand.

Doch nicht nur die mangelnde Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland ist bei der DDR zu kritisieren. Nach der Erklärung zu einem antifaschistischen Staat hat sie einige Jahre später behauptet den Nazismus mit Stumpf und Stil ausgerottet in ihrem Hoheitsgebiet zu haben. Das war eher ein propangandistisches Lippenbekenntnis: keineswegs waren die Bürger*innen der DDR alle plötzlich Antifaschistinnen und Antifaschisten geworden. Lediglich wurden Probleme mit Rechtradikalismus konsequent von der Staatsführung ignoriert. Offenkundiger Neonazismus wurde als Rowdytum abgetan und dementsprechend auch nicht politisch dagegen vorgegangen. Und das obwohl sie laufend Menschen, die aus sog. „sozialistischen Bruderländern“ kamen oder auch Homosexuelle und Andersdenkende angriffen. Das gipfelte beispielsweise in einem Überfall von Skinheads auf ein Konzert von ost- und westdeutschen Punkbands in der ostberliner Zionskirche 1987. Erst danach – und eigentlich auch nur weil westdeutsche Punkbands und damit eine westdeutsche Öffentlichkeit anwesend waren – wurden Neonazis teilweise als politisches Problem behandelt und bekämpft. Offensichtlich dennoch unzureichend – gipfelte der Neonazismus in der DDR in bis zu 500 Taten pro Monat im Jahre 1988. Auch bei den Montagsdemonstrationen waren Reichskriegsflaggen zu sehen und es wurden nationalistische bis rechtsradikale Parolen skandiert. Auch nach der Wende wurde es nicht besser: die BRD hat nach der Übernahme der DDR die Erzählungen der DDR einfach mit übernommen und ebenso behauptet, dass die Nazis in den sog. neuen Bundesländern eigentlich Rowdies wären[3].

Nicht nur aus einer antifaschistischen Perspektive gibt es Kritikpunkte an den letzten beiden deutschen Staaten, sondern auch aus explizit linksradikalen und kommunistischen Sichtweisen. In der DDR galt zum Beispiel das sog. „Recht auf Arbeit“, welches durch zwei Faktoren auch zu einer Pflicht zur Arbeit wurde. Einerseits durch die Notwendigkeit zu Arbeiten um überleben zu können, die in kapitalistischen sowie staatskapitalistischen Staaten wie der DDR existiert. Da in der DDR laut Staatsführung Alle die Möglichkeit hatten zu arbeiten musste der Staat auch nicht für die Versorgung von Bürger*innen sorgen, die keine Arbeit hatten. Aber nicht nur, dass Arbeitslosen kein Überleben ermöglicht wurde, sie wurden sogar dafür bestraft, dass sie „arbeitsscheues Verhalten“ zeigen würden. In der BRD wurde zwar mit Arbeitslosigkeit über ein Arbeitslosengeld umgegangen, aber spätestens seit der Einführung der Hartz-Reformen werden Leute auch dafür bestraft wenn sie nicht den (beschissenen) Job annehmen, den ein Bürokrat aus dem Jobcenter für sie raussucht. Doch anstatt Arbeitslose wie die DDR direkt einzusperren, lässt die BRD sie erstmal für einige Monate unter der Armutsgrenze leben, um sie danach wegen Schwarzfahren einzusperren, weil das Geld nicht für die Fahrkarte reicht. Das ganze Elend mit der Arbeit und Arbeitslosigkeit wird auch noch von einigen Gewerkschaften unterstützt, die zum Beispiel, obwohl sie sonst sehr wichtige Arbeit erledigen und Arbeiter*innen organisieren, vertreten und unterstützen, dass bedingungslose Grundeinkommen blockieren, weil „die Leute ja arbeiten wollen“. Eine (vernünftige) radikale Linke sollte jedoch nicht ein Recht auf Arbeit fordern, sondern stattdessen ein Recht auf ein gutes Leben.

Zu diesem Recht gehört auch, dass die Mitbestimmung des eigenen Lebens ermöglicht wird. Die DDR hat sehr auf ihr System gesetzt, welches auf dem Ignorieren demokratischer Forderungen und einer Volkskammer, die sich lediglich nach den Wünschen des Politbüros richtete, bestand und somit die demokratische Beteiligung aller eingeschränkt wurde. Auch die Wahlen innerhalb der Partei wurden von oben bestimmt und sind somit sogar beinahe noch weniger progressiv und demokratisch gewesen als die Führungsstruktur in (BRD-)deutschen Großkonzernen. Um nicht nur auf politischer Ebene die Meinung zu bestimmen wurde „bürgerliche Ideologie“[4], also der DDR-Führung unpassende Meinungen, in den Medien verboten, womit die Presse bzw. Medien keine Andere Wahl hatten außer die teilweise reaktionären Ideen zu verbreiten. In der BRD hat unter anderem der Springer-Verlag das Verbreiten reaktionärer Ideen als Marke erkannt und macht es bis heute (Juni 2020) freiwillig.

Auch bei anderen Themen, wie z.B. Umweltschutz war die DDR und ist die BRD kein wirkliches Vorbild. Zum Beispiele waren viele Flüsse in der DDR so verschmutzt, dass sie sich 30 Jahre später immer noch nicht erholt haben. Gegen diesen Zustand wurden verschiedene Demonstrationen veranstaltet wie die Pleiße-Gedenkumzüge[5] in Leipzig und ein Teil der Opposition in der DDR waren Teil einer Umweltbewegung. Dass sich die BRD nicht an das Pariser Klima-Abkommen hält ist eine Sache, die sogar CDUler zugeben[6] und die eine Jugend-Bewegung hervorgerufen hat, deren Forderungen das gerade so notwendige wiedergeben.

Zuletzt wurden auch die Ansprüche von Kommunist*innen an den sog. real existierenden Sozialismus nicht wirklich erfüllt, wie in einem anderen Text in diesem Zine dargelegt wird.

Natürlich hat die BRD einige, vor allem demokratische Vorteile gegenüber der DDR, jedoch sollte die Forderungen emanzipatorischer Kräfte so wenig die nach einer neuen oder verbesserten DDR sein, wie der Ruf nach einer neuen oder verbesserten BRD. Es sollte die Forderung lauter werden, die bestehenden Zustände umzuwerfen und eine befreite Gesellschaft für alle zu errichten.

[1] – Erik Lommatzsch: Hans Globke und der Nationalsozialismus. Eine Skizze. (PDF) In: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Historisch-politische Mitteilungen. Band 10, 2003, S. 95–128.
URL: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=b95b9c34-b0a0-5e10-1dc1-091190aadb00&groupId=252038

[2] – Iva Arakchiyska: Zwei deutsche Staaten – zwei Erinnerungskulturen –
Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Kalten Krieg
URL: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/10282

[3] – Dr. Bernd Wagner: Vertuschte Gefahr: Die Stasi & Neonazis https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/stasi/218421/neonazis

[4] – Hier muss angemerkt werden, dass die DDR-Staatsführung alles, was nicht in ihre „sozialistische Idee“ gepasst hat als bürgerlich beschrieben hat.

[5] – „Oppositionszentrum Leipzig“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Januar 2020, http://www.jugendopposition.de/145316

[6] – https://www.bz-berlin.de/deutschland/konservative-politik-beginnt-damit-dass-man-sich-anstaendig-benimmt