„Verfassungsschutz“ – Die Institutionalisierung des Rechtsextremismus in den neuen Bundes­ländern

Von Copwatch Leipzig – https://copwatchleipzig.home.blog/

Aufgenommen von Sören Kohlhuber

Vor 30 Jahren wurde in den neuen Bundesländern der Inlandsgeheimdienst nach dem schon seit 1950 bestehenden westdeutschen Vorbild eingerichtet. Zum Jubiläum wollen wir daher noch mal auf die Rolle eingehen, die der Verfassungsschutz bei der Institutionalisierung des Rechtsextremis­mus spielt(e). An einigen Vorfällen in den Gründerjahren der Behörden wird deutlich, welche fatale politische Grundprämisse dieser Institution zu Grunde liegt, sodass die einzige Konsequenz für den Schutz der Verfassung die Abschaffung aller Verfassungsschutzbehörden sein kann.

Die Grundlagen des Fiaskos

Der sogenannte Verfassungsschutz (VS) hat die Aufgabe, Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokra­tische Grundordnung zu beobachten. Damit kommt ihm eine gewisse Definitionsmacht zu, was die­se denn überhaupt sein soll. So wurde der Kapitalismus durch die Einstufung der Berliner Ortsgruppe von Ende Ge­lände oder der VVN-BdA als „linksextrem“ – im Gegensatz zu Antifa­schismus – zur Grundlage der bundesrepublikanischen Verfassung erklärt. Möglich wird das durch die Kon­struktion eines „Linksextremismus“ durch die sog. Extremismustheorie1, die – obwohl wissen­schaftlich nicht haltbar2– bis heute theoretischer Unterbau des Verfassungsschutzes ist. Eine parla­mentarische oder gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahmen findet kaum statt, während die Innenministerien, denen die Behörden bzw. Abteilungen auf Bundes- und Lan­desebene meist nachgeordnet sind, ihre schützende Hand über alles halten. Eine nicht zu ver­schweigende Beteiligung an dem ungestörten Wirken und der zugrunde liegenden politischen Hal­tung kommt der CDU/CSU zu – so fallen die meisten Amtsjahre des BfV Parteifreunden zu und an der Shoah beteiligte Nazika­der wurden durch sie in die Behörde berufen.3
Durch die Aufarbeitung des NSU-Komplexes sind viele ungeeignete und bürger*innenrechtsfeindli­che Methoden, strukturelle Defizite, untragbare Mitarbeiter*innen der Behörden bekannt geworden. Zu einem Umdenken in den Behörden hat dies allerdings nicht geführt. „Zwar mussten einige Be­hördenleiter ihren Schlapphut nehmen. Für sie rückten wie im Fall von Gordian Meyer-Plath [jetzi­ger LfV Präsident in Sachsen, Anm. d. Verf.] genau solche Mitarbeiter nach, die als V-Mann-Führer operativ Verantwortung dafür tragen, dass wegen rassistischer Morde verurteilte Nazis [u.a. Szcze­panski] vorzeitig aus der Haft entlassen und der Hinweis auf die Bewaffnung des NSU vergessen wurden. […] Im Zu­sammenhang mit dem NSU-Komplex wurden lediglich drei Disziplinarverfah­ren eingeleitet, aber 57 Beförderungen von Mitarbei­tern im Bereich Rechtsextremismus vorgenom­men.“4

Der Aufbau im Osten

Die sog. Aufbauhelfer waren hochrangige Beamt*innen aus dem Westen, die den Verfassungs­schutz in den neuen Bundesländern aufbauen sollten. Der Befürchtung, der Verfassungsschutz wer­de in den neuen Bundesländern als „neue Stasi“ begriffen, wurde sowohl in der Schwer­punktsetzung ih­rer Arbeit als auch personell mit einer konsequent entgegengesetzten Ausrichtung begegnet. Es wur­den also vermehrt linke (vermeintlich sozialistische, kommunistische und anarchistische) Projekte in den Fokus genommen, während nur Menschen ohne Stasi-Vergangenheit neu eingestellt wurden. Die westdeutschen Behörden waren vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Akti­vitäten der RAF von einer antikommunistischen Haltung geprägt, was sich auch dadurch verstärkte, dass eine Entnazifizierung in der BRD kaum stattgefunden hatte. Das Resultat war eine gezielte Ver­harmlosung von Rechtsextremismus und die verschärfte Verfolgung von Linken.

Sachsens Verfassungsschutz wurde mit Hilfe des bayrischen LfV aufgebaut, erste Präsidentin – ei­ner Geheimdienstbehörde in Deutschland überhaupt – war Mathilde Koller.5 Spätestens ab 1996 kam es zur Überwachung von linken Projekten (u.a. Conne Island – linksalternatives soziokulturel­les Zentrum) und Personen.6 Im Gegensatz dazu war die Beobachtung von den Rechts­terrorist*in­nen des in Kontakt stehenden sog. NSU und Blood&Honor (ver)schleppend gelaufen.7 Bereits ab 1998 wusste der VS Sachsen (sowie Brandenburg, Thüringen und BfV), dass das Kerntrio bewaff­net war und Raubüberfälle beging und dass sie sich in Sachsen aufhalten.8 Die Fehler – insbes. Un­terschlagen von Informationen – waren so gravierend, dass LfV-Präsident Boos (1999-2002 und 2007-2012) zurück trat. Präsident Stock (2002-2007) musste nach der sog. Sachsensumpfaffäre9 gehen.
Brandenburgs erster LfV-Präsident wurde der Sozialdemokrat Wolfgang Pfaff, der davor Terroris­tenfahnder bei der Bundesanwaltschaft war. In seine Amtszeit fällt die Anwerbung und Belohnung des schon ein­gangs erwähnten V-Mannes Carsten Szczepanski, der beste Kontakte zum Ku-Klux-Klan, Blood&Honor und dem untergetauchten NSU-Trio hatte. „Insgesamt rechnete der Dienst für seine Quelle »Piatto« zwischen 1994 und dem Auffliegen im Jahr 2000 rund 50.000 Mark Prämien ab. Hinzu kommen Zuwendungen, Bewirtungen und vor allem Fahrdienst-Wohltaten. Agenten wie Meyer-Plath kutschierten ihren Informanten wohin der wollte.“10
In Sachsen-Anhalt wurde der VS durch den damaligen Innenminister Wolfgang Braun aufgebaut, der selbst inoffizieller Mitarbeiter der Kriminalpolizei gewesen sein soll. Dieser holte sich Hilfe vom Privatdetektiv Klaus-Dieter Matschke der jahrelang als freiwilli­ger Informant gearbeitet hat. Sein V-Mann-Führer war „Josef Boinowitz […], damals Chef einer mysteriösen Haussicherungs­gruppe des hannoverschen Verfassungsschutzes, genannt die ‚Sieben Samurai‘. Die Gruppe fahnde­te mit fragwürdigen Methoden nach Spionen und undichten Stellen im eigenen Apparat.“11 Matsch­ke schob zudem eine Berufung einiger CDUler der niedersächischen „Skandalregierung“ unter MP Albrecht auf hohe Posten in Sachsen-Anhalt an. Diese kam aber durch öffentlichen Druck wegen dem Bekanntwerden der Machenschaften Matschkes doch nicht zustande.12
Auch der erste Präsident Volkmar Seidel des LfV Mecklenburg-Vorpommern musste die Behörde 1994 wegen eines Korruptionsfalles verlassen.13 In dem ostdeutschen Bundesland, in dem der sog. NSU mordete, wurden die zahlreichen Verbindungen der ansässigen Neonazis zum untergetauchten Kerntrio nicht aus­reichend vom VS bearbeitet. „Gemeinsame Urlaube und gegenseitige Besuche verfestigten das per­sönliche Verhältnis zwischen den Jenaer und Rostocker Neonazis bereits ab Mit­te der 1990er Jah­re.“14 Die Aufklärung der Verfehlungen des VS dauert an, weil sich im Schweriner Landtag bis 2018 die parlamentarischen Mehrheiten für einen Untersuchungsausschuss nicht fan­den.
Thüringens15 Verfassungsschutz wurde ab 1994 durch Helmut Roewer aufgebaut. Dieser ist heute gern gese­hener Gast und Autor bei der AfD, der Jungen Freiheit oder rechtsextremen Burschen­schaften, während das Land seine Pension bezahlt. Seine Personalie war die Motivation für unseren Text. Verfolgt und diskreditiert wurden seinerzeit vor allem die Anti-Atom-Proteste und die PDS. Sein Top-Infor-mant für die militante Neonaziszene war Tino Brandt, ein Kader des Thüringer Heimat­schutzes. Er bekam 100.000 Mark „Entschädigung“ und all seine 30 Strafver­fahren wurden einge­stellt. Seine Informationen beschränkten sich auf die Ankündigung von Demos, während Schieß­übungen und die straffe bundesweite Organisation wohl nicht zur Sprache kamen. Ein weiterer Grund für das Erstarken der Naziszene und des sog. NSU war Roewers Machtkampf mit dem LKA Thü­ringen unter Uwe Kranz, der dazu beitrug, dass die untergetauchten Terrorist*innen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht von der Polizei gefunden wurden, obwohl Brandt telefo­nisch mit ihnen Kontakt hatte. Fatale Fehler waren die Übergabe von 2.000 Mark vom LfV an Brandt, um für sie Pässe zu besorgen oder zu organisieren, dass ein antisemitisches Spiel („Pogromly“) für sie vertrie­ben wur­de. Die „Versuche“ das Kerntrio aufzufinden, haben erwartbarerweise zu nichts geführt – sie haben sich 2011 selbst enttarnt. Auch durch die V-Mann-Tätigkeit des NPDler und Ex-Bundeschefs der Deutschen Nationalen Par­tei, der durch den Verfassungsschutz stolze 15.000 Mark reicher wurde, oder den Sektionsleiter von Blood and Honour, konnte die bundesweite Na­ziszene wachsen und ge­deihen. In Sicherheit wiegen konnten sie sich durch ein 1996 vom VS Thüringen herausgegebenes Thesenpapier, dass das terroris­tische Potential der Neonazisten ver­harmloste. Roewer selbst gründe­te 1997 unter falschem Namen einen Verlag, der durch die Veröf­fentlichung von Aufsätzen von VS-Mitgliedern zur öffentlichen Stimme des VS werden sollte, „der sich vor allem aus rechtskonserva­tiven, geschichtsrevisionis­tischen und antisemitischen Dekmus­tern und -texten speist.“16 Darüber hinaus produzierte er über den Verlag einen „Lehrfilm“, der reine Propaganda für rechte Ideologien darstellt. Ungereimtheiten über ungewöhnlich hohe Honorare füh­ren schließlich zu Roewers längst überfälligen Suspendierung im Jahr 2000.
Der Feind stand für ihn immer links. Diese Einstellung teilte er mit vielen „Aufbauhelfern Ost“, die die Sicherheitsarchitektur in den neuen Bundesländern gestalteten. Und so ist es bis heute wie man bei den Personalien Hans-Georg Maaßen17 und Gordian Meyer-Plath sehen kann.

Die Kampagne Entnazifizierung JETZT! möchte weiter Licht in die Blackbox Sicherheitsapparat werfen, um die Verstrickung mit Rechten – wie sie sich in Uniter, Nordkreuz und im Hessischen Polizeiskandal gezeigt haben – zu kritisieren und endlich die Entnazifizierung nachzuholen, die es nach dem zweiten Weltkrieg nicht genug gegeben hat. Dazu muss auch darauf hingewirkt werden, dass die absurde Gleichsetzung von „links“ und „rechts“ aufhört und die massive Bedrohung, die eine Faschisierung für unsere Gesellschaft hat, entschieden bekämpft wird. Denn das ist die historische Verantwortung, in der wir seit 30 bzw. 75 Jahren stehen und die immer noch Grundlage unserer Politik ist:

Nie wieder Deutschland! Nie wieder Faschismus!

1 „Im Extremismuskonzept bilden Rechts- und Linksextremismus die entgegengesetzten Endpunkte eines Kontinuums, dessen Zentrum die demokratische Mitte bildet.“https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/200099/kritische-anmerkungen-zur-verwendung-des-extre­mismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften.
2 Kopke/Rensmann: „Die Extremismusformel. Zur politischen Karriere einer wissenschaftlichen Ideologie“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 45/2000, S. 1451–1462.
3 „Hubert Schrübbers (1955 – 1972): Während das Präsidentenamt in der Behörde von Hubert Schrübbers bewohnt wurde, wurden auffällig viele Positionen im Amt von ehemaligen SS-Funktionären besetzt. Das Ganze fiel allerdings erst richtig auf, als Schrübbers Vorgeschichte bekannt wurde: In der NS-Zeit war der Jurist für zahlreiche Klagen gegen jüdische und ausländische Menschen verantwortlich. Er zog die Konsequenzen und trat in 1972 von seinem Amt zurück.“ https://www.maz-online.de/Nachrichten/Politik/Die-gefallenen-Chefs-des-Verfassungsschutzes
4 https://www.blackbox-vs.de/
5 http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13683498
6 http://media.de.indymedia.org/2014/05/354421.shtml
7 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/geheimakten-bei-sachsens-verfassungsschutz-keine-verbindung-zu-nsu-a-843941.html
8 Von der Behrens: „Das Netzwerk des NSU, staatliches Mitverschulden und verhinderte Aufklärung“, in: Kein Schlusswort, 2018, S. 289.
9 http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/korruptionsaffaere-in-sachsen-die-dunkle-seite-der-macht/980400.html
10 https://www.nsu-watch.info/2015/02/v-mann-portraet-carsten-szczepanski/
11 https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13489037.html
12 Ebd.
13 https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8706481.html
14 https://www.nsu-watch.info/2017/08/der-nsu-in-mecklenburg-vorpommern-kaum-interesse-an-aufklaerung/
15 Folgende Informationen stammen aus den sehr zu empfehlenden Beiträgen: Hemmerling: „Eine Frage der inneren Sicherheit“, in: Extreme Sicherheit, 2019, S. 278 ff.; Von der Behrens: „Das Netzwerk des NSU, staatliches Mitverschulden und verhinderte Aufklärung“, in: Kein Schlusswort, 2018, S. 229 ff.
16 Hemmerling: „Eine Frage der inneren Sicherheit“, in: Extreme Sicherheit, 2019, S. 287.
17 Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz 2012-2018, abberufen und ins Innenministerium befördert nach der Relativierung rassistischer Angriffe auf Geflüchtete in Chemnitz September 2018.