Für eine echte Vereinigung

von der  Initiative „Keupstraße ist überall“

Von der Initiative „Keupstraße ist überall“

Das Problem hieß und heißt Rassismus. Gestern wie heute. Das ist die Grundüberzeugung unserer Kölner Initiative und das gilt überall auf der ganzen Welt. Daher rührt auch unser Name „Keupstrasse ist überall“.

Wir haben uns leider erst nach der Aufdeckung des rechtsextremistischen Netzwerkes „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im November 2011 und der Bekanntgabe des Prozesstermins gegen Mitglieder und Unterstützer*innen des NSU vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München gegründet. „Leider“, weil es viel zu spät kam. Wir hätten viel früher auf die NSU-Morde und Anschläge reagieren müssen. Aber nach 2011 konnten wir die Brutalität der Täter*innen und unsere eigene Untätigkeit nicht länger ertragen.

Wir beschlossen, in Köln ein Zeichen zu setzen für ein Miteinander und gegen rassistische Gewalttaten und Ignoranz. Gemeinsam mit Überlebenden der beiden NSU-Bombenanschläge 2001 in der Probsteigasse und 2004 in der Keupstraße wollten wir auch zeigen, dass diese Rassisten nicht erreicht haben, uns zu separieren.

Vor den Verhandlungstagen im NSU-Prozess in München bereiteten wir, gemeinsam mit der Opferberatung für Opfer rechter Gewalt, die Überlebenden der Anschläge auf den Prozess vor. Wir begleiteten sie zu ihren Zeugenaussagen im Verfahren vor dem OLG, riefen zur bundesweiten Solidarität auf, schafften Öffentlichkeit und forderten, den Fokus nicht länger auf die Täter, sondern auf die Opfer zu setzen, ihr Leid zu sehen und ihre weiter offen gebliebenen Fragen endlich zu beantworten.

Damit haben wir gemeinsam ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung gesetzt. Wir konnten aufzeigen, dass Neonazis und ihre Helfer*innen in Gesellschaft, Polizei und Geheimdiensten ihr Ziel der Terrorisierung und Vertreibung verfolgen, dabei aber nicht unbeobachtet bleiben, indem wir uns gemeinsam dagegen auflehnen, sie öffentlich machen und nicht locker lassen.

Rassismus vor und nach der Wiedervereinigung

Keine Vereinigung bzw. „Wiedervereinigung“ kann in einer Gesellschaft stattfinden, in der Rassismus und Ausgrenzung erlebt und geduldet werden. Rassismus wurde nicht mit dem Ende des zweiten Weltkriegs wegradiert. Rassismus hat es kontinuierlich bis zum Mauerfall gegeben, z.B. in der Nachkriegszeit mit den „Brown Babies“, mit den „vergessenen Pogromen von Erfurt“ (1975) oder beim Brandanschlag in Schwandorf-Bayern (1988), sowie nachher. Und 30 Jahre nach dem Mauerfall hat sich daran leider nicht viel geändert. Das Ereignis ist eine vertane Chance. Zwar wurden mit der Wiedervereinigung sichtbare Barrieren, wie die Mauer, eingerissen, aber die unsichtbaren wurden weiter aufgebaut und verschärft.

Vor dem Mauerfall hatte man sich in der Bundesrepublik vor allem als Bürger*innen der freien, westlichen Welt definiert. Das gilt und galt gleichermaßen für die Menschen, die das Nachkriegsdeutschland mit aufgebaut haben, hierher gezogen waren, einfach hier ihr Leben in politischer und/oder wirtschaftlicher Sicherheit bestreiten wollten. In den Alten Bundesländern wurden sie vor der Wende gerade noch von der Gesellschaft als Mitbürger*innen, Kolleg*innen und Nachbar*innen akzeptiert.

Mit der Wiedervereinigung wurde plötzlich die sogenannte „Abstammung“ das zentrale Kriterium, das Menschen eine Daseinsberechtigung in Deutschland verleihen sollte. Jetzt wurde auf einmal ganz offen skandiert „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“. Wie gesellschaftsfähig diese Haltung geworden war, zeigte sich in den Pogromen in den 90er Jahre, wie in Hoyerswerda (1991), Rostock Lichtenhagen (1992), Mölln (1992) oder Solingen (1993) und der Asylrechtsänderung.

Mobilisierung und Solidarität

Gerade nach dem Brandanschlag in Solingen verabredeten sich in NRW Väter türkischer Familien vor den Häusern mancher Arbeitersiedlungen zur gemeinsamen Nachtwache, um im Falle eines Anschlags die eigenen Kinder schnell retten zu können. An denen, die nicht von Rassismus betroffen waren, ging das erst mal zumeist vorbei. „Wir“ alle nahmen diese Ängste unserer Mitbürger*innen kaum wahr. Solidarisierten uns kaum, bezogen die Menschen, die von diesem Rassismus betroffen sind, nicht wirklich in unsere Proteste ein. Selbst solidarische Demonstrationen, nach der Enttarnung des NSU, führten wir oft ohne die Menschen durch, die davon betroffen waren und sind.

Zum Glück für uns alle schwiegen genau diese Menschen auch auf der Keupstraße nicht länger. So entstand letztendlich die Idee für unsere Initiative „Keupstrasse ist überall“. Es wurde daraus ein „Nicht länger ohne uns, sondern mit uns“.

Nach und nach hat sich viel bewegt. Dadurch, dass die Angehörigen der NSU-Mordopfer und die Überlebenden der Anschläge selbst ihre Stimmen erhoben, konnten Gesellschaft, Politik und die staatlichen Ermittlungsbehörden nicht länger unbeobachtet weiter machen mit Vertuschung, Verharmlosung und dem latenten institutionellen Rassismus.

Die Stimmen von Initiativen der von Rassismus und Gewalt Betroffenen bekommen inzwischen heute mehr Gewicht und werden gehört. Da hat sich tatsächlich etwas verändert. Demonstrationen der Angehörigen der NSU-Mordopfer, wie 2006 in Kassel und Dortmund, werden nicht länger ignoriert. Ganz aktuell hat sich dieses Jahr direkt die Initiative „19. Februar Hanau“ gegründet, die eine Anlaufstelle für Familie und Freunde der ermordeten Menschen in Hanau eröffnet hat.

Was wir in unserer Initiativen-Arbeit gelernt haben: Zuzuhören und den betroffenen Menschen eine Stimme zu geben, sie zu stärken und sie zu unterstützen, damit ein wirkliches WIR – als Akteure – aus dem „uns“ – als passiv Betroffene – wird. WIR alle brauchen das Wissen und die Erfahrung der von Rassismus Betroffenen, um uns wirklich wehren zu können gegen die immer stärker werdende unverhohlene Ausgrenzung von Menschen.

Und alle Betroffenen brauchen eine Gesellschaft, die schnell, solidarisch und menschlich reagiert. Gegen die Kräfte innerhalb des Staatsapparates, die zulassen, dass Menschen durch Politiker*innen, Gerichte, Polizist*innen und „Verfassungsschützer*innen“ eingeschüchtert, bedroht, eingesperrt, verbrannt und getötet werden bzw. in einem Staat leben, der das zulässt und die Täter*innen und deren Taten nicht aufklärt oder engagiert verfolgt.

Beispiele rechtsextremer Gewalt und von institutionellem Rassismus gibt es unzählige. Um nur einige davon zu nennen:

  1. Statt eines Netzwerkes wurde stets vom „Trio“ im NSU -Verfahren gesprochen. Von den fünf angeklagten NSU-Mitgliedern und Unterstützer*innen konnten zwei direkt nach der Urteilsverkündung das Gericht als freie Menschen verlassen (2018).  
  2. Die Bedrohung der NSU-Nebenklage-Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie durch den NSU 2.0, einer Gruppierung, die sich vorwiegend aus Polizist*innen zusammensetzt.  
  3. Die steigende Anzahl von Fällen terroristischer Gruppierungen wie z.B. Hannibal (Uniter), Nordkreuz, der Gruppe S oder der Atomwaffen Division Deutschland. 
  4. Der qualvolle Tod des zu unrecht inhaftierten Amad Ahmad in der JVA Kleve (2018), der bis heute nicht lückenlos aufgeklärt ist und dessen Verfahren eingestellt wurde. 
  5. 264 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte allein im Jahr 2017 laut dem Bundeskriminalamt, 1387 laut der Amadeu Antonio Stiftung. 
  6. Der ungeklärte Tod von Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle im Dienstgebäude des Polizeireviers Dessau-Roßlau (2005). Das Verfahren wurde mehrfach eingestellt.  

Erst seit dem Mord an Walter Lübcke (Juni 2019) reagiert der Staat und erkennt an, dass unsere Gesellschaft ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Das ganze letzte Jahr hat einige Spuren hinterlassen: der Anschlag in Halle, Morddrohungen gegen Politikern, der Anschlag in Hanau.

Aber noch wichtiger wäre es, anzuerkennen, dass das Grundproblem menschenverachtender Rassismus ist, und diesen zu bekämpfen. Lasst uns nicht von „Wiedervereinigung“ sprechen, denn in welche Zeit und welche Zustände würde uns eine Wiedervereinigung zurück führen?

Lasst uns also von einer echten Vereinigung sprechen. Der Weg zu diesem Ziel hat gerade erst begonnen. Wir brauchen mehr Mitstreiter*innen, mehr Aktivist*innen, die gemeinsam aktiv werden. Nicht nur in den digitalen Medien, sondern in der Feldarbeit vor Ort, denn die nimmt ab. Daher macht mit, solidarisiert euch, kämpft gemeinsam gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie – gegen Menschenverachtung.