Oder warum die DDR nicht mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen ist
Während ersteres bereits methodisch strittig ist, muss letzterem in jedem Fall klar widersprochen werden. Die Grenzen vom einen zum anderen sind dabei fließend: so können die zwei Schaufensterpuppen, die auf einen Vergleich der zwei Jugendorganisationen abzielen, zwar sehr bildlich deutlich machen, dass beiden Systeme die Massenmobilisierung von Kindern und Jugendlichen zu eigen war. Was eine solche Darstellung aber definitiv nicht leisten kann, ist, über die sehr leicht getroffene Feststellung, in beiden Systemen habe Uniformierung und Militarisierung junger Menschen stattgefunden, hinauszukommen. Welche Weltbilder dem zugrunde lagen, wird komplett ausgespart. Stattdessen wird die Vorstellung nahegelegt, es handele sich um zwei gleichermaßen autoritär-militärische Systeme. Was also vielleicht als anschaulicher Vergleich gelabelt wird, kann unter diesem Gesichtspunkt auch als klare Gleichsetzung gewertet werden.
Warum allerdings genau das problematisch ist, soll im folgenden Text kurz dargelegt werden. Im Kontext der kritischen Auseinandersetzung mit den Ereignissen der Jahre 1989/90 in Deutschland und den Feierlichkeiten dazu, ist es dringend notwendig, sich mit der Grundhaltung, die in diesem Vergleich mitschwingt und dem Ziel, welches der Gleichsetzung zu eigen ist, zu beschäftigen.
Der Drang, genau diese beiden Regierungen in eine Relation zueinander zu setzen, geht auf eine Idee zurück, die sich ursprünglich eigentlich nicht auf den Nationalsozialismus und die DDR, sondern auf die frühe Sowjetunion und den italienischen Faschismus bezog: die Totalitarismustheorie.
Das alles sollte ausreichen, um deutlich zu machen, warum ein Vergleich auf diese Weise oberflächlich bleibt und eine Gleichsetzung nicht funktionieren kann. Was das Ganze aber am ausdrücklichsten problematisch gestaltet, ist die Relativierung der NS Gewaltherrschaft, die dabei mitschwingt. Die Einmaligkeit des Holocaust wird durch einen Vergleich – jeglicher Art, aber insbesondere mit dem Arbeitslagersystem der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR – in Frage gestellt. Die Shoah, als industrialisierte, durchbürokratisierte Massenvernichtung jüdischen Lebens in Europa, der Porajmos, als hunderttausendfacher Tod von Romn*ja und Sinti*zze, die Euthanasie, der tausende alte, schwache, kranke, behinderte und zu solchen gemachte Menschen zum Opfer fielen, die massenhafte Ermordung sogenannter „Gemeinschaftsfremder“ und „Asozialer“10, Homosexueller, Angehöriger religiöser Minderheiten, politisch Widerständiger und Oppositioneller – das alles ist mit keinem anderen Ereignis der Geschichte in seinem Maß an Grausamkeit vergleichbar. Wer die DDR mit dem NS-Regime gleichsetzt oder aber die ideologischen Grundfesten des Nationalsozialismus ausblendet – wie es der totalitarismustheoretische Ansatz zuweilen tut – der droht, die Gewaltverbrechen, die zwischen 1933 und 1945 stattfanden, zu relativieren, zu verharmlosen, zu bagatellisieren. Ganz real kommt das einer Verhöhnung der Opfer gleich. Hinterfragenswert ist ganz allgemein, inwiefern hiermit überhaupt etwas anderes als die Befeuerung von Opferkonkurrenzen geschaffen werden kann. Auch wenn sich gerade neue Ansätze eines System- und Ideologievergleichs entwickeln, die für sich selbst beanspruchen über eine totalitarismustheoretische Betrachtung hinauszugehen 11, müssen sich insbesondere Vergleiche zwischen DDR und NS-Staat dem Verdacht stellen, sie würden sich dessen bedienen. Was hiermit deutlich gemacht werden soll, ist, dass sich aber genau das immer haarscharf am Rand der Gleichsetzung bewegt und diesen manchmal auch klar überschreitet. Es bleibt also noch einmal das Plädoyer für eine Nachzeichnung von Kontinuitäten stark zu machen, die statt eines oberflächlichen Vergleichs beispielsweise auf Fragen von gescheiterter Entnazifizierung, bis heute andauernder, zum großen Teil versäumter „Widergutmachungsprozesse“, auf angemessenes Gedenken oder rechte Organisierung in den Nachfolgestaaten des NS-Regimes hinweisen kann.
1 In der Schule wird die DDR häufig als Beispiel für die praktische Umsetzung der kommunistischen Idee auf Staatsebene verwendet, und als Begründung dafür, warum so ein System, welches auf der Idee des Kommunismus basiert nicht funktionieren kann, herangezogen. Dass es dabei aber ganz verschiedene Definitionen von Kommunismus gibt wird dabei ausgeblendet. Unserer Idee von Kommunismus entspricht das autoritäre Regime der DDR keineswegs, weswegen in diesem Text der Begriff des „Staatssozialismus“ oder „Realsozialismus“ zur Beschreibung des Gesellschaftssystems der DDR verwendet werden soll.
2 Die Bronzestatue „Der Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer steht unter anderem vor dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig.
3 Die Zahl der Opfer der Mauer, die die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland markierte, liegt nach neuestem Stand bei 140 bis 327. Diese Zahl ist höchst strittig und variiert, je nachdem, wer in diese Opferzahl mit eingerechnet wird, inwiefern auch ungeprüfte Fälle mit aufgenommen werden und welche Quellen dazu herangezogen werden. Vgl. hierzu bspw.: Chronik der Mauer. Eine multimediale Dokumentation der Geschichte der Berliner Mauer 1961 bis 1989/90. Langzeit-Kooperationsprojekt des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) mit der Bundeszentrale für politische Bildung und Deutschlandradio, 2019, [URL: http://www.chronik-der-mauer.de/todesopfer/], (Zugriff zuletzt: 15.05.2020).
Website der FU Berlin, Pressemitteilung – Studie: Dem DDR-Grenzregime fielen an der innerdeutschen Grenze insgesamt 327 Männer, Frauen und Kinder aus Ost und West zum Opfer, 2017, [URL: https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2017/fup_17_155-studie-opfer-des-ddr-grenzregimes/index.html], (Zugriff zuletzt: 15.05.2020).
4 Beispielsweise war die DDR an der gewaltsamen Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 in der tschechischen Hauptstadt Prag beteiligt. Mehr dazu beispielsweise hier: Holger Kulick, Prag 1968: Der Einmarsch des Warschauer Pakts im überblick, 2018, [URL: https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/prag-1968/274360/ueberblick-karte-der-einmarsch-1968] (Zugriff zuletzt: 23.05.2020).
5 Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München/ Zürich, 2008.
6 Josef Stalin war zwischen 1922 bis zu seinem Tod 1956 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und ab 1946 Vorsitzender des Ministerrats der Sowjetunion. Während seiner diktatorischen Herrschaftszeit kam es im sowjetischen Vielvölkerstaat zu „politischen Säuberungen“, die etwa 19 Mio. Todesopfer forderten, darunter machtpolitische Gegner, politisch Andersdenkende, aber auch ethnische und religiöse Minderheiten.
7 „Entstalinisierung“ bezeichnet den Prozess, der nach dem Tod Josef Stalins 1953 in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten einsetzte. Im Rahmen dessen kam es – teilweise! – zur Rehabilitierung von Opfern des stalinistischen Terrors, zum Rückbau des unter Stalin entwickelten GuLAG (Arbeits- und Straflager)-systems und dem Rückgang des stalinistischen Personenkults. In der DDR setzte sich dieser Prozess nur partiell durch. Zwar verschwand der Name Stalins aus dem öffentlichen Raum, aus Schulbüchern, Straßen- und Vereinsnamen, aber das stalinistisch geprägte, brutale und restriktive Vorgehen gegen politische Gegner wurde nicht in Gänze reformiert.
8 Sozialdarwinismus bezeichnet die übertragung der von Charles Darwin entwickelten, naturgesetzlichen Prinzipien wie Auslese, Kampf ums Dasein, Anpassung an die Umwelt, Vererbbarkeit erlernter Fähigkeiten auf den sozialen Bereich. Die vom Sozialdarwinismus behauptete „natürliche“ Ungleichheit der Menschen wurde von der Rassenideologie des Nationalsozialismus übernommen, um die überlegenheit der „arischen Rasse“ zu untermauern sowie die Ausmerzung „rassenfremder“ Bevölkerungsteile und den Kampf um „Lebensraum im Osten“ zu rechtfertigen.
9 Die SED war die alleinregierende Partei der DDR – „Sozialistische Einheitspartei der DDR“ – und sollte die Vereinigung zwischen SPD und KPD darstellen.
10 Bei den Begriffen „Gemeinschaftsfremde“ oder auch „Asoziale“ handelt es sich um von den Nationalsozialisten geprägte Quellenausdrücke, die eine äußerst diverse Opfergruppe umfassen. Aus diesem Grund wird hier darauf zurückgegriffen, die Wörter aber durch Anführungsstriche markiert. Für weiteres dazu vgl. bspw. Wolfgang Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, Stuttgart 1995.
11 Die Totalitarismustheorie und die Debatte darum werden in der Geschichtswissenschaft bereits (teilweise) als überholt bezeichnet. So gibt es Ansätze, die versuchen jenseits bzw. über alle totalitarismustheoretischen Ansätze hinaus zu vergleichen. Allerdings stehen bei diesen Vergleichen die stalinistische ära der Sowjetunion und das NS-Regime im Vordergrund. Während diese Inbezugsetzung schon eher funktionieren kann, beispielsweise hinsichtlich der Frage nach dem Kern moderner „Barbarei“, bleibt der Vergleich zwischen DDR und NS unhaltbar. Davon wird, vor allem auf internationaler Ebene, aber auch abgesehen. Ein Beispiel: Michael Geyer/ Sheila Fitzpatrick, Beyond Totalitarianism: Stalinism and Nazism Compared, Cambridge 2008.