Das war nicht der Kommunismus

Reden wir, und damit meine ich verschiedene und doch bei weitem nicht alle Strömungen der Linken, von Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem und der daraus resultierenden Gesellschaft, so begegnen wir immer wieder einem äußerst starren bürgerlichen Narrativ des Kommunismus. Dieser sei stets autoritär („eigentlich nichts anderes als bei Hitler“), gegen die menschliche Natur und den so genannten „gesunden Menschenverstand“, was auch immer das sein soll. Wer für den Kommunismus kämpft, der*die wünsche sich zurück in die Sowjetunion, möchte die DDR zurück und am liebsten die Ermordung von Millionen Menschen unter Hammer und Sichel. Diesen Narrativ gilt es zu brechen. Um es mit den Worten von Bini Adamczak zu sagen: „Nein, nein. Das ist nicht der Kommunismus.“[1]

Um diese Auffassung zu widerlegen, muss zuerst festgelegt werden, was Kommunismus bedeutet. Nicht gerade einfach, gab es doch in rund 200 Jahren Geschichte der kommunistischen Bewegung verschiedenste Strömungen desselben mit teils unterschiedlichen Zielsetzungen. Eine der wohl bekanntesten, auf die sich fast alle anderen beziehen, ist die des Marxismus. Karl Marx beschreibt den Kommunismus als das aufgelöste Rätsel der Geschichte: Eine klassenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft. Natürlich kann Marx nicht als Bauanleitung für eine befreite Gesellschaft verstanden werden. Viele seiner Theorien hätten nur im Kontext der Industrialisierung eine progressive Anwendung finden können. Doch das Ziel, welches er formulierte, ist eben so humanistisch, wie seine Analysen der kapitalistischen Gesellschaft Wahrheitsgehalt haben. Den Versuch, seine Idee einer klassenlosen Gesellschaft umzusetzen, wurde zur Aufgabe vieler Millionen Menschen, die ganz eigene Vorstellungen zur Realisierung entwickelten. Als „Nebenprodukt“ entstanden Sozialversicherungen, kürzere Arbeitszeiten, Gewerkschaften, Arbeitsschutz etc. Grundsätzlich verfolgten Kommunist*innen also immer wieder das Ziel, eine Welt zu errichten, in der alle von Geburt an gleiche Chancen haben und in der ganz allgemein das Leid systematisch minimiert wird.[2] Doch wer die DDR betrachtet, dem*der wird auffallen, dass nicht erst die Umsetzung, sondern bereits die Bedingungen und Zielsetzungen andere waren. Verschiedene Strömungen des Kommunismus, wenn man sie in Anbetracht ihrer Abweichung von ursprünglichen Zielsetzungen überhaupt noch als solche bezeichnen kann, setzten sich in Europa durch. Darunter sehr regressive, autoritäre. Ob bereits der Bolschewismus konterrevolutionär war, oder erst die Machtübernahme durch Josef Stalin, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Jedoch gab es bereits seit Lenin eine Verschiebung der Interessen: Nicht mehr die vollkommene Aufhebung der Kapitalverhältnisse, wie noch von Marx gefordert, sondern die Abschaffung des „Finanzkapitals“ wurden zur Losung. Auch die Autorität des Kapitalismus sollte nicht abgeschafft, sondern bestenfalls durch eine ähnlich grausame, vermeintlich gute ersetzt werden. Das ist höchstens sehr verkürzt antikapitalistisch und kaum humanistisch. Von Kommunismus kann nicht gesprochen werden.[3]

Zwischen 1952 und 1961 waren rund die Hälfte der SED-Parteimitglieder ehemalige NSDAP- , HJ-, oder SA-Mitglieder.[4] Diese haben sich leider nicht auf mystische Weise sofort selbst zu Antifaschist*innen erzogen: Die Kontinuität des Antisemitismus in der DDR, der auch und insbesondere vom Staat selbst ausging, zeigt sich wohl am deutlichsten in der andauernden Feindschaft zu Israel, die neben NSDAP-Hintergrund auch auf regressive antiimperialistische Theorien zurückzuführen ist, welche neben anderen Ursachen dafür verantwortlich waren, „den Westen“ zum Feindbild zu erklären. Wen wundert es, das Erich Honecker 1982 Jassir Arafat die Hand gab und den Terrorismus gegen JüdInnen weiter unterstützte? Die Erinnerungskultur der DDR ist revisionistisch: Eine kleine Gruppe von Kapitalisten sei demnach für den Faschismus verantwortlich. Das deutsche Volk sei vom Faschismus als Produkt des Kapitalismus versklavt worden, Faschismus wird nicht als eine äußerst regressive Form des Antikapitalismus verstanden.[5] Indem die Schuld dem deutschen Volk entzogen wurde, konnte es weiterhin in der TäterInnenrolle bleiben. Die DDR war folglich kein antifaschistischer Staat, keine emanzipatorische Assoziation. Es gab keine (erfolgreiche) Entnazifizierung, sondern andauernde Gewalt gegen Minderheiten und Oppositionelle; Ein absoluter Widerspruch zur kommunistischen Vorstellung von Marx und anderen Theoretikern.Ein Nationalstaat, der die in ihm lebenden Bürger*innen überwacht, ihnen verbietet in einen Großteil anderer Länder zu reisen und gnadenlos gegen Oppositionelle vorgeht, kann nicht antifaschistisch sein, auch nicht kommunistisch.

In der DDR gab es keine Basisdemokratie, nicht einmal eine parlamentarische. Im Gegenteil: Die Entmündigung, welche Kapitalismus und Faschismus hervorbrachten, wurde weitergeführt. Statt der Diktatur einer ganzen Klasse gab es die Diktatur einer Partei. Die Macht der SED durchfloss die Institutionen und Arbeitsplätze, um am Ende jede*n Bürger*in zu unterdrücken, konträr zum Kommunismus. „Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. Sozialistische Demokratie beginnt aber nicht erst im gelobten Lande, wenn der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus.“(Rosa Luxemburg).[6]

Der Kommunismus entstand dort, wo durch Arbeit Unrechtmäßigkeit erzeugt wurde. Leider zogen viele „Kommunisten“, insbesondere der UdSSR, daraus die falsche Schlussfolgerung: Statt die Arbeit, wo es möglich ist, zu reduzieren, verfielen sie, ihre kapitalistisch induzierte Konkurrenz nicht reflektierend, in puren Arbeitsfetischismus. Marx sah „Das Reich der Freiheit […] in der Tat erst da, wo das Arbeiten […] aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“.[7] Auch Paul Lafargue erkannte bereits 1880: „Ein seltsamer Wahn beherrscht die Arbeiterklassen der Nationen, in denen die kapitalistische Zivilisation regiert. Dieser Wahn zieht das individuelle und soziale Elend nach sich, das die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten quält. Dieser Wahn ist die Liebe zur Arbeit, die wilde Arbeitsleidenschaft, die bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommenschaft getrieben wird.“[8] Die Auszeichnung „Held der Arbeit“ ist folglich keine kommunistische Propaganda, sondern antikommunistische. Die DDR stellte sich auch im Bereich der Arbeit gegen kommunistische Anschauungen.

Wer jetzt meint, die DDR habe bewiesen, dass Kommunismus nicht funktionieren könne, es in der menschlichen Natur lege, egoistisch zu sein und stets nach eigenem Vorteil zu handeln, dem*der sei zu entgegnen, dass die Gestalt der Menschen wohl weniger in der Natur ihre Ursache findet, als in der Gesellschaft, in der jedes Individuum von Geburt an geprägt wird. Weniger scheiterte die DDR daran, dass es prinzipiell unmöglich ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der nicht die eigenen Interessen, wie in unserer Gesellschaft, notwendig an erster Stelle stehen, als an der fehlenden Reflexion regressiver Tendenzen, die die neue Gesellschaft aus der alten mitbrachte. Die kapitalistische und hierarchische Prägung der Individuen wie der Massen blieben unterschätzt.

Viele Ansichten zur DDR und zum Kommunismus sind legitim, viele sehr kritikwürdig. Die DDR war autoritär, kein antifaschistischer Staat, keine Demokratie, keine Aufhebung der Klassen- und Kapitalverhältnisse, kurzum: kein Kommunismus, erst recht nicht „Der Kommunismus“.

[1] Bini Adamczak – Kommunismus: Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird
[2] https://geschichte-wissen.de/blog/der-kommunismus-marxismus/
[3] Bundeszentrale für politische Bildung – Sowjetunion I: 1917-1953

[4]https://www.welt.de/kultur/article5558370/Wie-die-SED-ihre-Wurzeln-in-der-NSDAP-vertuschte.html
[5] https://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45014/ddr-israel
[6] Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 363 f.

[7] Marx, Kapital, Bd. 3, in MEW 25, 828
[8] Paul Lafargue – Das Recht auf Faulheit, in Reclam S. 10