Zum Scheitern verurteilt? – Linke Opposition in der DDR

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“Im offiziellen Selbstverständnis der DDR war für eine innere Opposition, für eine Opposition, die aus den Widersprüchen dieser Gesellschaft erwuchs, kein Platz.”[1] Die Führung der DDR sah ihren Staat bereits als vollendete Form des Sozialismus an. Demzufolge unterschied man nicht zwischen legitimer innerer Opposition und illegalen Untergrundaktivitäten. Alles wurde gleichermaßen als illegitime, “konterrevolutionäre” Bestrebungen behandelt und mit aller Härte strafrechtlich verfolgt. Dies war ein zentraler Grund für die Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz MfS, welches unter anderem die Zerschlagung und Prävention von Arbeit oppositioneller Gruppen zur Aufgabe hatte.

Das Heilsversprechen der DDR lag in der kontinuierlichen Steigerung des materiellen Wohlstandes, im Tausch gegen politische Konformität seitens der Bevölkerung. Neben der Kriminalisierung der Opposition, war dieser “Gesellschaftsvertrag” Teil eines Konzepts zur Entpolitisierung der Bevölkerung. Allein die Nicht-Beteiligung an vom Staat vorgesehenen Handeln war an den Verlust zahlreicher Privilegien geknüpft. Wer beispielsweise als Kind aus christlichem Elternhaus nicht bei der Jungpionier[2]– oder Thälmannpionierorganisation war, wurde von gewissen klasseninternen Aktivitäten ausgeschlossen. Auch die Möglichkeit des Studiums an einer Hochschule war an die FDJ-Mitgliedschaft gebunden. Umgekehrt führte die aktive, der SED-Linie treue Teilnahme zur Erhöhung des Lebensstandards. Wie konnten sich also diesen Umständen zum Trotz oppositionelle Gruppen bilden?

Die Bindung von sozialem und materiellem Wohlstand an die Teilnahme an staatlich bestimmten Aktivitäten widersprach dem Freiheitsverständnis einiger. Ebenso hatten auch die massive Repression einen Gegeneffekt zur Folge. Denn je repressiver ein System desto legitimer der Widerstand dagegen. So bildeten sich in den 70ern und 80ern zwar immer wieder oppositionelle Gruppen. Diese waren jedoch massiver Unterdrückung ausgesetzt. Regelmäßige Verhöre und Überwachung waren an der Tagesordnung. Dementsprechend blieb die Anzahl an aktiven Oppositionellen vergleichsweise klein. Eine exponierte Rolle spielte die Kirche. Sie war oft Ort für Treffen kritischer oder oppositioneller Kreise und Gruppen. Denn durch Religionsfreiheit und Kirchenrecht geschützt konnten hier zumindest in gewissem Maße Inseln des Widerstandes entstehen. Diese waren jedoch äußerst heterogen zusammengesetzt. Der Opposition zuzuordnen waren in Folge der Aufrüstung in Ost und West entstehende Friedensbewegungen, eine sich entwickelnde Umweltbewegung, sowie Bürgerrechtler*innen und Dissident*innen.[3]
Beispielhaft soll an dieser Stelle die Vereinigte Linke betrachtet werden. Sie entstand in der Endphase der DDR als Bündnis verschiedenster oppositioneller Linker. Teil waren unter anderem christliche Sozialist*innen, Trotzkist*innen, Anarchist*innen, Autonome, aber auch kritische SED-Mitglieder. Sie lieferte im Gegensatz zu vielen anderen oppositionellen Gruppen der DDR einen tatsächlichen alternativen Gesellschaftsentwurf. Ihr Ziel war nicht die Angliederung an die BRD oder die Wiedervereinigung zu einem deutschen Gesamtstaat. Stattdessen lag ihr Interesse in der Reform des bestehenden Systems der DDR hin zu einem demokratischen Sozialismus. Dieses Ziel konnte in dem 1989/90 entstandenen Machtvakuum nicht verwirklicht werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass das Staatskonstrukt DDR nicht an dem Druck oppositioneller Basisgruppen scheiterte, sondern viel eher an der regierungsseitigen Unfähigkeit ihrem Wohlstandsversprechen nachzukommen, zerbrach.
Folglich ist es kein Zufall, dass die oppositionellen Gruppen der 80er Jahre nach ‘89 nicht in der Lage waren ihrer Rolle als Trägergruppen der gesellschaftlichen Veränderung gerecht zu werden. Es gelang ihnen nicht Mehrheiten zu schaffen um den Transformationsprozess weiterzuführen. Große Teile der Bevölkerung wurden durch die deutsche Einheit beschwichtigt und so fehlte es an der Notwendigkeit einer grundsätzlicheren Veränderung. Auch der Versuch parlamentarisch Mehrheiten zu erzeugen scheiterte. Die meisten oppositionellen Gruppen und Bündnisse der ehemaligen DDR zerfielen bereits Anfang der 90er Jahre.

[1] Bernd Hütter/Marcel Bois (Hg.), Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken, Heft 2, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2010, Die DDR und ihre rebellischen Kinder: Linke Opposition in der Ära Honecker.
[2] Die „Freie Deutsche Jugend“ war die Jugendorganisation der SED, Sozilistische Einheitspartei Deutschlands. Mit der Einschulung traten Kinder in der Regel den Jungpionieren bei, darauf folgte mit acht Jahren die Mitgliedschaft bei den Thälmannpionieren. Mit 13 Jahren traten Jugendliche meist der FDJ bei.
[2] Der Begriff Dissident*innen beschreibt Personen, die eine politische, gesellschaftliche, religiöse infrage stellen, von ihr abweichen oder ihr widersprechen.